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Berlin, den 08.4.2011

 

Keine Leisetreterei in der Causa Ai Weiwei

Ai Weiwei hat recht, wir leben im Zeitalter der Verrückheit!  Aber gerade deswegen müssen wir weiterhin auf China Druck ausüben, dürfen uns also nicht davor drücken, die Dinge wieder gerade zu rücken, die sich insbesondere nach der Gefangennahme Ai Weiweis verschoben haben. Man könnte auch sagen, wir sind dazu verpflichtet, China hier und heute zu seinem Glück zu zwingen, es also auch gehörig zu fordern.

Das Prinzip "Einer für Alle" bzw. "Alle für Einen" mag uns überholt vorkommen, dann sollte es eben für den Teilnehmer der DOCUMENTA XII extra neu erfunden werden.

Denn gerade weil Ai Weiwei insbesondere wegen des internationalen Drucks nur knapp dem Schicksal entronnen ist, wegen "Demütigung der Volksrepublik" angeklagt zu werden und damit im Lager zu landen, was China selbstverständlich eine neue Rüge vor dem "Menschengerichtshof" eingebracht hätte, muss die Führung in Peking nun auch endgültig davon überzeugt werden, dass sie sich auf einem schlimmen Irrweg befindet bzw. einem möglicherweise langen Marsch in die Rückständigkeit, wo eigentlich Aufklärung das Ziel war. Zudem hat China durch die "Demütigung der Bundesrepublik Deutschland" eine Riesenschuld auf sich geladen. Genau deshalb ist ab sofort die Mithilfe der Wirtschaft unabdingbar, um China z.B. klar zu machen, dass dem Wunsch, es als Marktwirtschaft anzuerkennen, unmöglich entsprochen werden kann, wenn es weiterhin glaubt, gegen Patentrechte verstossen und Ai Weiwei ganz nebenbei mit fadenscheinigen Argumenten einen Prozess wegen Wirtschaftsverbrechen machen zu können. Hier muss endlich rigoros die Kraft der Argumente entfaltet werden, um die Nebenwirkungen einer "Dialektik der Aufklärung" möglichst gering zu halten und zwar dalli dalli.

Unter dem Martyrium, dem sich Ai Weiwei durch seine hartnäckige Weigerung ausgesetzt sieht, sich die Definition von Freiheit der KP Chinas zu eigen zu machen, würde ohne weitere Reformen auch ganz China sehr bald zu leiden haben. China kann eben nur im Frieden mit der Weltgemeinschaft leben, wenn es die Globalisierung endlich als einen Prozess der Interpenetration also der gegenseitigen Durchdringung von Werte-, Kultur- und eben nicht nur Wirtschaftssphären begreifen lernt, wie es Niklas Luhman mal ausdrückte.

Diese sogar unter Kulturwissenschaftlern und -Managern zeitweilig umstrittene Sichtweise, gilt es angesichts der Verhaftung von Ai Weiwei vorzubringen und zu verdeutlichen. Denn China darf einfach nicht länger eine Politik der "Vergeudung seiner Intelligenzreserven" wenn nicht gar einer mutwilligen "Reduzierung seiner Menschenüberschüsse" betreiben und sollte auch von vornherein dazu angeleitet werden, der "Diktatur der Kunst" abzuschwören. Es macht ergo überhaupt keinen Sinn, wenn sich jetzt angesichts der Ausstellung "Die Kunst der Aufklärung" im neuen Nationalmuseum am Tiananmen-Platz die Kunst- und Kulturbeflissenen in Deutschland gegenseitig "Schuldeingeständnisse" abringen und damit auch fast noch zur Weissglut treiben.

Allerdings wird sich der gebürtige Stuttgarter Martin Roth in schwäbischer Bescheidenheit üben und bei Ai Weiwei dafür entschuldigen müssen, dass er in einem Moment der Verzweiflung behauptete, Künstler wie ihn gäbe es doch 100te. Weil Ai Weiwei nämlich zufällig der Künstler ist, der 1001 Chinesen zur Documenta nach Kassel einlud und damit als Vorausschauender seinerseits einen für eine Einzelperson unglaublichen Beitrag dazu leistete, seine Landsleute über die Vorzüge von Freiheit aufzuklären. Wer dies völlig vergessen hat, darf sich ruhig mal entschuldigen ohne deswegen gleich das Gesicht zu verlieren. Martin Roth sollte aber auch besser nicht gegen Klaus-Dieter Lehmann sticheln, der im Hinblick auf das von China für 2012 in Deutschland geplante Kulturjahr, katastrophale Folgen prognostizierte, wenn es zu einer Verurteilung Ai Weiweis kommen sollte.

Ich habe 2007 vor dem Fridericianum kurz mit Ai Weiwei sprechen können. Sein Projekt hatte er ja gerade deswegen Fairytale genannt, um  u.a. zu verdeutlichen, dass Freiheit eben kein Märchen sein muss, dass es viele Länder gibt, die auch schön sind und man als Chinese also nicht glauben solle, dass es nur im Reich der Mitte Kultur gäbe. Neue Erfahrung mit anderen zu teilen, so erschien es mir, war das, worauf es Ai Weiwei hauptsächlich ankam. Und für so einen will man als KULTURDIPLOMAT keine Zeit haben, ein Wort einzulegen?

Die Politik der kleinen Schritte oder des "Wandels durch Annäherung" in allen Ehren zu halten, ist sicher nicht grundverkehrt, doch darf das Ganze nicht in Anbiederung münden und auch wenn es gilt, die "Kulturen der Welt als Experimente richtigen Daseins" zu begreifen, wofür Peter Koslowski einmal in einem Essay zur Weltausstellung 2000 in Hannover plädierte, müssen die Grenzen durchlässiger gemacht werden, hinter denen sich viele "Kulturnationen" noch mit aller Macht versuchen ihrer Legitimität zu versichern.

Deshalb bringt auch der Verweis der Chinesen auf die "Komplexität" des chinesischen Rechtssytems gar nichts. Vielmehr muss den Chinesen verdeutlicht werden, dass sie endlich mal ihre "Komplexe" ablegen sollten, da Überkomplexität nichts schafft ausser wachsendem Misstrauen. Vertrauen hingegen geht, wie Luhman gern betonte, mit einer Komplexitätsreduktion einher. Das sollten sich die Systemtheoretiker in Peking hinter die Ohren schreiben.

Dafür, dass die Ausstellung "Die Kunst der Aufklärung" auf ca. 7 Jahre Vorbereitungszeit zurückblicken kann, kann Ai Weiwei natürlich ganz und gar nichts. Und natürlich sichert man sich durch den Hinweis darauf keinesfalls automatisch eine gute Benotung, weil angeblich doch meistens alles gut ist, was lange genug währt. Wir Deutschen sollten auf den Umstand, dass China uns mit der Einladung zur Eröffnungsschau im erweiterten Nationalmuseum den Vorzug vor anderen Ländern gab, auch nicht übermässig stolz sein, denn immerhin gab es Zeiten, in denen sich die politischen Systeme auf eher unangenehme Weise glichen. Genau deshalb müssen wir ja jetzt sogar auf unverzügliche Freilassung von Ai Weiwei pochen. Man kann das sicher auch anders formulieren, Hauptsache aber ist, dass das Endergebnis stimmt. Denn wie meinte Wilhelm Busch: "Ob ein Minus oder Plus uns verblieben zeigt der Schluss!" Mit einer Eselsmütze sollten wir uns von den Chinesen aber auf gar keinen Fall in die Ecke stellen lassen. Es gilt daher die Paradoxie einer museal anmutenden Auffassung von Völkerverständigung zu überwinden, bei der jede Seite nur um der Harmonie willen in ihrer alten Weltsicht verharren darf.

Im Übrigen sollten die deutschen Galerien ihren Verzicht auf die Teilnahme an der ART HONG KONG 2011 in Erwägung ziehen, um ein eindeutiges Zeichen zu setzen, dass man sich hinsichtlich der Formel "Ein Land - zwei Systeme" keinesfalls daran gewöhnen will, mit der Schaufensterfunktion von Hong Kong sei bereits Alles getan. Zumal sich die Galerien aus dem Westen als "Kulturinvasoren" eben nur dann wie neu geboren werden vorkommen dürfen, wenn wie zu Zeiten Willy Brandts die Parole: "Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört!" befolgt wird. Davor aber gilt es die chinesische Führung davon zu überzeugen, dass die Gewährung von Freiheit für Andersdenkende ihre einzige Chance ist.
 

 

Ihr Konstantin Schneider

BERLINER KUNSTKONTAKTER

 

 

Für die Illustration im Briefkopf danken wir dem Künstler EMESS