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Berlin, den 17.1.2011

 

Die Neuen Leiden des Judy Lybke

Da haben wir Berliner endlich den Salat. Und zwar pünktlich zum Jahresbeginn 2011. Zwanzig Mal in Folge durfte die Galerie Eigen + Art an der ARTBASEL teilnehmen, schaffte es, in dieser Zeit den Blick der Kunstgötter u.a. nach Berlin zu lenken, sorgte dafür dass NLS ein fast genauso bekanntes Kürzel wurde wie NLP und blieb dennoch auch sympathisch bescheiden. Doch nun findet sich Eigen + Art  eigenartigerweise völlig unvermittelt dort auf der Reservebank wieder, und soll nur über einen Hoffnungslauf doch noch an der Messe aller Messen teilnehmen dürfen.  Was einem Sportler möglicherweise gelegen kommt, der eine Disqualifikation eben auch mal zur Regeneration nach Dauerbelastungen nutzen kann, kann für einen Galeristen in einem derzeit auf Neuausrichtung programmiertem globalen Kunstmarkt zum Problem werden. Aber vielleicht ja auch nicht.

Nun hat sich einerseits bereits ein Chor der Erschrockenen in der FAZ und der WELT lautstark zu Wort gemeldet, während andererseits auf Ausgleich bedachte Zeitgenossen versuchen, sachlicher Argumentation treu zu bleiben. Doch die Wogen zu glätten, dürfte wohl so einfach nicht sein. Denn immerhin steht für die wichtigen Kunstmessen in aller Welt auch 2011 so Einiges auf dem Spiel.

Durch den bereits häufig zitierten "Shift to Asia" nämlich geraten Amerika wie auch Europa derzeit verstärkt unter Druck. Man möge es uns also nicht übel nehmen, wenn wir all die Kommentatoren-Kollegen, die, bei aller Lust Partei zu ergreifen, über diesen Hintergrund bisher noch so gut wie gar nichts haben verlauten lassen, der Unterlassung zeihen müssen. Denn neben der ganz sicher skandalösen Impertinenz eines Tim Neuger, der sich keinesfalls die Chance seines Lebens entgehen lassen wollte, dem Gerd Harry mal unter Mithilfe von noch relativ unerfahrenen Jurymitgliedern einen Schuss vor den Bug zu verpassen, geht es ja auch darum, interkontinental richtige Entscheidungen zu treffen, um nicht früher oder später wegen Inkontinenz ins Abseits zu geraten. Da gerät jeder, der sich in Basel nur noch die Tantiemen verdienen will, die er zwecks Expansion nach Fernost in Reserve halten muss, während er Miami, diese zunehmend verloren wirkende Exklave westlicher Dekadenz links liegen lässt, schon mal ins Visier einer Selektionsmafia, die den kompletten globalen Kunstmarkt zu beherrschen sucht. Diesen "Seleccionistas" darf mit Fug und Recht unterstellt werden, ein Interesse daran zu haben, dass pro Kontinent nur noch eine echte "Leadmesse" überlebt. Hong Kong für Asien, Basel für Europa und nach Möglichkeit Miami für Amerika. Denn das die ARTBASEL ihren Ableger in den USA hegen und pflegen muss, um die Magnaten in Lateinamerika bei Laune zu halten, ist doch klar. Durch die "gute Achse" Basel-Miami fällt es der ARTBASEL zudem leicht, die europäischen Konkurrenzveranstaltungen in Madrid, London und Paris auf Distanz zu halten. Von Berlin wollen wir ja schon gar nicht mehr reden. Wir exportieren nur noch. Das allerdings nicht schlecht.

Wer also begreifen will, was dem Galeristen Gerd Harry Lybke da gerade widerfährt, der sollte auch mal versuchen, all den Galeristen auf den Zahn zu fühlen, denen ganz leicht eine gewisse Unlust nachgewiesen werden könnte, sich überhaupt irgendwann mal mit Asien zu beschäftigen. Das Unbehagen darüber, dass doch was dran sein könnte an dieser Theorie, dass das Abendland nur noch zum Museum der Zivilisationen taugt, selbst wenn der Westen immer noch dadurch ein bißchen überlegen bleibt, weil man sich bei uns einfach immer alles viel schneller wieder anders überlegt als andernorts, es ist gross. Jeder, der glaubt, nur mit viel Ausdauer oder grossen Rücklagen noch nach vorn kommen zu können, sich also an herkömmliche Vorstellungen klammert, sucht deshalb nach starken Verbündeten in der Nachbarschaft.

Nun versucht Gerd Harry Lybke seinen Aktionsradius aber eher noch zu erweitern, liess sich z.B. ja auch mal wieder in Köln blicken, geht neuerdings sogar nach Madrid und will, nachdem er 2010 erstmals in Shanghai dabei war, nun auch in Hong Kong Fuss fassen, denn so machen es die wichtigen Galeristen schliesslich. Sie diversifizieren genauso wie Larry, was das Zeug hält. Während die Neugerriemschneiders & Co. um Asien lieber noch einen weiten Bogen machen, um ihre Stammklientel nicht zu irritieren, rechnet sich der Leipziger Lybke möglicherweise im Verbund mit Hauser+Wirth allerlei Chancen auf den immer noch als "Emerging Markets" zu bezeichnenden Messen rund um das "Reich der Mitte" aus. Why not? Also wird es schon stimmen, das mit dem Komplott.

Wer in der schönen neuen Sammlerwelt Asiens fern jeglicher Erfahrung Pionierarbeit zu leisten gedenkt, der soll, wenn es nach Basler Willen geht, gefälligst bleiben wo der Pfeffer wächst. Nur an Basels Wesen, darf die Kunstwelt genesen. Das beweisen natürlich auch die netten Vergleiche, wenn z.B. Singapur als die Schweiz Asiens gehandelt wird, die dem selbstgefälligen chinesischen Goliath schon noch wie ein David wird entgegentreten können. Sobald die Welt nämlich begriffen hat, dass nur die Liebe zur Kunst zählt und nicht etwa der schnöde Mammon oder die Begabung, virtuos schlecht Zeugnis zu reden wider seinem Nächsten.

Nun denn, wer den Schlaf der Gerechten schlafen will, der soll dies tun. Er soll sich dann aber auch nicht darüber beschweren, das Ungeheuer hin und wieder ihrem Namen alle Ehre machen. Man kann das "Riesenreich der Mittel", das in Asien rund um China entsteht, auch weiterhin für eine "Fata Morgana" halten. Gut Ding will Weile haben, einverstanden! Das Lybke als Ossi jedoch tut, was er tun muss, weil er Gorbi's Botschaft "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben!" verinnerlicht hat, wird ihm offensichtlich übel genommen.  Zumal Gerd Harry auf der ARTBASEL 2010 auch noch einfach mal ein paar Künstler zuviel zu "Schnäppchenpreisen" präsentierte, was die auf Grossartigkeit gedrillten Entscheider zusätzlich erzürnt haben dürfte.

Nach all diesen Überlegungen kann unser Rat an Gerd Harry also nur lauten: bleib jetzt bloss hart und verzichte wirklich mal auf diesen Nachrückerplatz in Basel. Du hast es nicht nötig zum Himmeldonnerwetter nochmal. 2012 ist schliesslich auch noch ein Jahr für ehrliche Prediger. Wir werden dieses Jahr um Basel nämlich aller Wahrscheinlichkeit nach auch einen Bogen machen, weil wir uns 2011 auf die Kunstbiennalen der Welt "einschiessen" wollen, also Venedig, Istanbul, Moskau, Porto Alegre z.B. Allenfalls wenn uns unsere Truppen vor Ort den Marschbefehl erteilen, weil sie uns in Basel ein Spezial anlässlich des 5Jährigen Bestehens von BERLINER KUNSTKONTAKTER einrichten wollen, dann kommen wir. Kann alles durchaus noch passieren. Also dann! Bis zum nächsten Mal.

 

Ihr Konstantin Schneider

BERLINER KUNSTKONTAKTER

 

Für die Illustration im Briefkopf danken wir dem Künstler EMESS